Die Bewahrung des Neuen Testaments: Ist die Bibel verfäscht?

Im letzten Blog-Post haben wir die Beweise betrachtet, dass es sich beim Neuen Testament, insbesondere bei den Evangelien und der Apostelgeschichte um Augenzeugenberichte handelt. Als Einspruch zu solchen Argumenten hört man oft die Behauptung, dass Konstantin der Große, oder das Konzil von Nicäa, oder das Konzil von Laodicäa, oder der Kirchenvater Hieronymus, oder die Illuminati, oder die katholische Kirche, oder irgendwelche anderen Könige, Kaiser oder Päpste die Bibel verfälscht, verändert und nach ihren Bedürfnissen angepasst hätten.

Verschwörungstheorien

Angeblich habe die sich die vier Evangelien herausgepickt, die mit ihren machtpolitischen Zielen kompatibel waren, und all die anderen Evangelien aus der Bibel entfernt: das Evangelium des Thomas, das Evangelium der Maria, das Evangelium des Petrus, das Evangelium des Judas, das Evangelium des Barnabas usw.

Und in den vier Evangelien, die übrig geblieben sind, stimmt angeblich sowieso nichts mehr mit dem ursprünglichen Text überein, weil jeder Schreiber beim Abschreiben seine eigenen Anschauungen und Meinungen (oder die seines Auftraggebers) mit verwurstet hat.

Behaupten kann man viel. Belege zu finden, dass die Bibel verfälscht wurde, da wird die Sache schon schwieriger. Das sind Verschwörungstheorien. Der Unterschied zu modernen Verschwörungstheorien ist der folgende. Wer zum Beispiel auf Facebook behauptet, das Coronavirus und Covid-19 wären eine große Lüge, der wird von allen Seiten gebasht.

Der Mythos dass die Bibel verfälscht ist

Wenn man allerdings behauptet, die Bibel wäre von den oben genannten Personengruppen komplett umgeschrieben und verfälscht worden, dann erteilen einem die selben Leuten auf einmal Zuspruch und Zustimmung.

Etwas mehr Konsistenz wäre sehr wünschenswert, insbesondere wenn allen Verschwörungstheorien mit derselben Skepsis begegnet würde, egal ob sie nun ins eigene postmoderne Weltbild passen oder nicht.

Zuerst sei anzumerken, dass die Beweislast immer beim Verschwörungstheoretiker liegt. Dabei genügt es nicht, zum Beweis irgendeinen andern Verschwörungstheoretiker zu zitieren, der genau das gleiche behauptet. Der Verschwörungstheoretiker kommt also nicht darum herum, historische Belege für seine Theorie vorweisen zu müssen. Dazu wünsche ich mal viel Spaß beim Suchen!

Johannes der Evangelist

Aber wissen wir überhaupt, ob das Neue Testament in den ersten Jahrhunderten zuverlässig weitergegeben wurde? Welchen Zeitraum müssen wir überhaupt untersuchen? Dazu ein paar Eckdaten:

Johannes, der letzte Apostel, starb ca. 100 n. Chr. Wir können also davon ausgehen, dass bis zum Jahr 100 die Botschaft der Evangelien unverfälscht Bestand hatte, weil dann erst der letzte Augenzeuge starb.

Die ältesten vollständigen Bibeln

Am anderen Ende haben wir die zwei ältesten erhaltenen Bibeln. Der Codex Sinaiticus wurde im Katharinenkloster im Sinai gefunden, und ist auf ca. 330-360 n. Chr. datiert.

Der Codex Vaticanus ist noch etwas älter. Er wurde ca. 325-350 n. Chr. geschrieben, und wurde in der Vatikanischen Bibliothek entdeckt, wo er sich bis heute befindet.

Diese beiden alten Bibeln stimmen mit den heutigen Bibeln überein.

Das Konzil von Laodicäa

Als nächstes klären wir, wer festgelegt hat, welche Bücher in der Bibel enthalten sind, also insbesondere, dass die Evangelien nach Matthäus, Markus, Lukas und Johannes drin sind, und die Evangelien nach Petrus, Judas, Maria, Thomas, Barnabas usw. draußen bleiben.

Das geschah auf dem Konzil von Laodicäa, das in den Jahren 350 bis 366 in Laodicäa in der heutigen Provinz Denizli in der Türkei stattfand.

Also, was fällt auf? Die beiden ältesten erhaltenen Bibeln sind vor das Konzil datiert. Das Konzil hat also nicht festgelegt, welche Bücher in die Bibel gehören, sondern festgestellt, welche Bücher in der Bibel bereits vorhanden waren, und dem dann einen offiziellen Stempel aufgedrückt.

Der Kirchenvater Hieronymus

Und was ist mit unseren Hauptverdächtigen aus der Verschwörungstheorie, die Bibel sei verfälscht?

Hieronymus lebte von 345 bis 420 n. Chr. Er übersetzte im Auftrag von Bischof Damasus von Rom die Bibel aus den Ursprachen ins Lateinische. Lateinisch war damals die Sprache des Volkes. Die Übersetzung wurde erstellt, damit die einfachen Leute die Bibel lesen und verstehen konnten. Diese Bibel wurde Vulgata genannt. Daher haben wir Wörter wie „Volk“ oder auch „vulgär„, in der ursprünglichen Bedeutung „in der Sprache des Volkes“. Hieronymus erstellte also eine frühe Version der Volxbibel. Die Vulgata ist bis heute Grundlage für das katholische Messbuch.

Zur Zeit des Konzils von Laodicäa war Hieronymus also noch ein Teenie. Mit einer angeblichen Verschwörung konnte er nichts zu tun gehabt haben, und ganz sicher hat er nicht die Bibel verfälscht. Außerdem kann man eine Bibel, die auf Grundlage der Vulgata übersetzt wurde mit einer Bibel vergleichen, die aus den Ursprachen übersetzt wurde. Man erkennt leicht, dass die Unterschiede sind nur minimal sind.

Das Konzil von Nicäa

Das von Konstantin dem Großen einberufene Konzil von Nicäa fand allerdings vor dem Konzil von Laodicäa statt, im Jahr 325 n. Chr., in Nicäa, in der heutigen türkischen Provinz Bursa.

Aus der Zeit sind aber genügend Aufzeichnungen überliefert, um zu wissen, dass auf diesem Konzil nichts über die Bibel beschlossen wurde. Das Hauptthema war die Dreieinigkeitslehre, und auch die wurde nicht festgelegt, sondern festgestellt. Abgelehnt hat sie lediglich Arius, ein einziger der 200 bis 300 anwesenden Bischöfe. Das nicänische Glaubensbekenntnis ist auf diesem Konzil entstanden, vor dem Hintergrund des Streites über die Dreieinigkeit.

Ketten von Zeugen

Die Frage ist also, was ist in den 250 Jahren zwischen dem Tod von Johannes und dem Konzil von Laodicäa geschehen? Insbesondere wollen wir wissen ob jemand die Möglichkeit gehabt hätte, die Inhalte der Bibel grob zu verfälschen, oder Bücher aus der Bibel zu entfernen, oder andere Bücher einzufügen. Bei einigen Büchern, wie dem Hebräerbrief oder der Offenbarung, gab es in der Tat den einen oder anderen Disput, aber bei den Evangelien, der Apostelgeschichte, den Paulusbriefen, und anderen wichtigen Briefen wie 1. Petrus oder 1. Johannes gab es Einigkeit.

Die Kette von Zeugen hinter Johannes

Johannes starb im Jahr 100 n. Chr. Seine beiden Jünger Ignatius und Polykarp verfassten jeweils Bücher, die uns erhalten geblieben sind, jeweils die biblische Lehre bestätigen, und angeben, welche Bücher zur inspirierten Schrift dazugehören. Das gleiche gilt für Irenäus, den Jünger von Ignatius und Polykarp, sowie für Hippolyt, den Jünger von Irenäus. Von allen diesen sind Bücher und Texte erhalten, und sie alle bestätigen die Inhalte des christlichen Glaubens und die Inspiration des Neuen Testaments. Leider verläuft sich die Weitergabe der christlichen Lehre hier in der Geschichte und ist nicht weiter verfolgbar.

Die Kette von Zeugen hinter Paulus

Aber wie schaut es bei Paulus aus? Während der Gefangenschaft in Rom gab er die christliche Botschaft an seine Mitarbeiter Clemens und Linus weiter, die späteren Bischöfe von Rom. Die Linie der Bischöfe lässt sich weiter verfolgen über Evaristus, Alexander, Sixtus, Telesphorus, Hyginus und Pius.

Von einigen dieser frühen Bischöfe von Rom sind keine Schriften erhalten, aber Justin der Märtyrer überliefert in seinen Büchern, dass auch diese Bischöfe den christlichen Glauben treu bewahrt und weitergegeben haben. Justins Jünger Tatian der Syrer hat uns ebenfalls Schriften hinterlassen, die bezeugen, dass genau die Bücher inspirierte Schrift sind, die wir heute im Neuen Testament haben. Mit Tatian verliert sich leider auch diese Spur in der Geschichte, und reicht nicht bis ans Konzil von Laodicäa heran.

Die Kette von Zeugen hinter Petrus

Aber vielleicht lässt sich über Petrus die Weitergabe des christlichen Glaubens nachverfolgen. Der Evangelist Markus war ein Jünger von Petrus. Die Jünger von Markus waren Ananius, Avilius, Kedron, Primus und Justus, die später alle nacheinander Bischof von Alexandria wurden. Justus hat außerdem die katechetische Schule in Alexandria gegründet. Diese wurde später von Pantaenus übernommen. Einer der Schüler unter Pantaenus war Clemens, der die Schule weiterleitete. Diese Rolle wurde später von einem weiteren Schüler, Origenes, übernommen. Der Bischof von Alexandria hat Origenes aus der Stadt verbannt, weil er nicht ordnungsgemäß ordiniert war. Er ließ sich in Caesarea nieder, wo sein Jünger Pamphilos seine Arbeit fortsetzte.

Der Jünger von Pamphilos war der Kirchenvater Eusebius, zu dessen Lebzeiten der Codex Sinatiticus und der Codex Vaticanus geschrieben wurden, und der nur wenige Jahre vor dem Konzil von Laodicäa starb. Von allen diesen Kirchenvätern sind Bücher und Schriften erhalten, die die treue Weitergabe der christlichen Lehre bestätigen. Damit sind die 250 Jahre zwischen dem Tod der Augenzeugen und dem Konzil von Laodicäa nachverfolgbar überbrückt. Es ist kein Raum für eine Verschwörung vorhanden.

Nicht nur haben all diese Bischöfe, Theologen und Kirchenväter die Echtheit der biblischen Bücher bestätigt, sie haben auch durchweg „alternative Evangelien“ wie das Thomasevangelium abgelehnt. Für das Thomasevangelium findet wir solche Kette von Überlieferungen nicht.

Die Manuskripte des Neuen Testaments

Jetzt wissen wir also, dass wir die richtigen Bücher im Neuen Testament haben. Aber wir wollen noch sicherstellen, dass sie nicht verändert wurden. Das kann man anhand der Manuskripte des Neuen Testaments feststellen. Diese wurden im gesamten Gebiet des römischen Reiches gefunden, vor allem im Mittelmeerraum, und jedes Jahr kommen neue hinzu.

Die Universität Münster hat etwa 5700 griechische Manuskripte katalogisiert, und 9000 Manuskripte in anderen Sprachen. Zum Vergleich, der nächstbeste überlieferte Text der Antike ist die Ilias von Homer. Der Text der Ilias kommt auf 643 Manuskripte. Von den meisten Schriften aus der Antike existieren weniger als ein Dutzend Manuskripte, einschließlich aller griechischen und römischen Historiker und Dichter wie Julius Cäsar, Aristoteles, Tacitus, Ovid, Plato, Plinius, also praktisch alle Quellen, denen wir unser Wissen über die Antike verdanken.

Textvarianten in den Manuskripten

Zwischen den biblischen Manuskripten gibt es sehr wenig Abweichungen. Kritiker werfen häufig die Zahl von 200000 „Fehlern“ in den Raum. Es gibt in der Tat 200000 Abweichungen in den 5700 Manuskripten. Diese werden auch Varianten genannt. Kritiker weisen aber selten darauf hin, wie die Varianten gezählt werden. Wenn z.B. ein Manuskript einen Rechtschreibfahler enthält, dann zählt das nicht als eine einzelne Variante. Sondern dann wird für jedes andere Manuskript, das die gleiche Passage enthält, der Variantenzähler um jeweils eins erhöht.

Teilweise fließen die obskursten Manuskripte in die Variantenzählung ein, wie zum Beispiel ein paar Verse aus dem Römerbrief auf der Rückseite einer antiken Geschäftsagenda (Papyrus 209). Die hat der Urheber offensichtlich aus dem Gedächtnis dort aufgeschrieben. Die große Anzahl der Fehler, die er oder sie dabei machte, treibt den Variantenzähler geradezu massiv in die Höhe. Aber kein Textforscher würde solchen Text als Grundlage für die Bibel ansehen.

Die Zahl von 200000 Varianten hört sich also horrend an, aber wir müssen fair bleiben. Die Zählung der Varianten ist so definiert, dass mit neuen Manuskriptfunden die Zahl der Varianten zwangsläufig exponentiell ansteigt.

Eigentlich ist es genau andersherum. Jeder neue Manuskriptfund erhöht die Zuverlässigkeit, dass wir einen Text haben, der nah am Original liegt. Durch die große Anzahl von Manuskripten liegt die Zuverlässigkeit inzwischen bei 99,5%. Zum Vergleich, der nächstbeste erhaltene Text aus der Antike, die Ilias, hat eine geschätzte Zuverlässigkeit von 95%. Aber keinesfalls ist die Anzahl der Varianten ein Anhaltspunkt dafür, ob die Bibel verfälscht ist oder nicht. (Quelle: Bruce Metzger)

Interessantweweise gibt es immer nur den Vorfurf, die Bibel sei verfälscht, nie aber die Ilias sei verfälscht, oder irgend ein anderer antiker Text.

Zum Alter der Manuskripte

Das älteste unumstrittene Fragment ist das John-Rylands-Fragment mit ein paar Versen aus dem Johannes-Evangelium. Es wird datiert zwischen 117 und 138 n. Chr. Das sind höchstens 68 Jahre nachdem Johannes das Original geschrieben hat. Das hört sich viel an. Aber auch hier ist die Ilias auf Rang zwei, mit dem ältesten Manuskript, das 500 Jahre nach dem Original geschrieben wurde. Für die meisten anderen antiken Schriften sind es 1000 Jahre oder mehr.

Aber es gibt vermutlich noch ältere neutestamentliche Manuskripte. In den Höhlen von Qumran wurden neun Fragmente gefunden, mit jeweils nur wenigen Worten drauf. Diese Fragmente sind datiert worden auf 50 bis 70 n. Chr. Die einzigen bekannten Texte aus der Antike, die zu diesen Fragmenten passen, sind das Markus-Evangelium, die Apostelgeschichte, Römerbrief, 1. Timotheusbrief, 2. Petrusbrief und der Jakobusbrief. Warum historisch-kritische Geschichtswissenschaftler nicht akzeptieren können, dass dies wirklich Fragmente aus dem Neuen Testament sind, dazu lest Ihr am besten meinen letzten Beitrag.

Für manche stellt die Lücke von 68 Jahren vielleicht immer noch ein Problem dar. Geschichtswissenschaftlich ist es kein Problem. Das ist so nah dran, wie es für einen antiken Text irgendwie geht. Der Evangelist Johannes starb im Jahr 100 n. Chr. Damit ist das John-Rylands-Fragment zwischen 17 und 38 Jahren nach dem Tod des Autors entstanden. Das hört sich schon etwas besser an.

Wie lange hielten antike Schriftrollen?

Aber untersuchen wir doch einmal, wann die Originale von der Bildfläche der Geschichte verschwinden, also die originalen von den Aposteln geschriebenen Schriftrollen. Wir wissen, wie lange Schriftrollen in der Antike in Gebrauch waren. Die Römer zerstörten die Siedlung in Qumran im Jahr 70 n. Chr. Einige der Schriftrollen, die in den Qumran-Höhlen gefunden wurden, sind auf 200 v. Chr. oder noch älter datiert. Sie waren 300 Jahre in Gebrauch.

Man hat weltweit 53 antike Bibliotheken ausgegraben und archäologisch erforscht, inklusive dort gefundener Schriftrollen. Von diesen Forschungsergebnissen wissen wir sehr sicher, dass eine Schriftrolle zwischen 150 und 500 Jahre gehalten hat und in Gebrauch war. (Quelle: Craig Evans)

Was geschah mit den Originalen?

Daher ist nicht ungewöhnlich, dass die Kirchenväter bis ins Jahr 300 auf die neutestamentlichen Originalmanuskripte Bezug nahmen.

Tertullian schrieb ca. im Jahr 190:

Wenn du mir nicht glaubst, dann schau dir die Originalmanuskripte von den Briefen des Paulus an, die du in Hierapolis in Kleinasien findest.

Und etwa im Jahr 300 schrieb Bischof Petros von Alexandria:

„Und es war die Vorbereitung des Passahfestes und ungefähr die dritte Stunde“, wie es die richtigen Bücher wiedergeben, und das Manuskript selbst, das von der Hand des Evangelisten geschrieben wurde, das durch die göttliche Gnade in der heiligsten Kirche von Ephesus aufbewahrt, und dort von den Gläubigen verehrt wird.

Schlussfolgerung: Die Bibel ist nicht verfälscht

Die zahlreichen Manuskripte sind eben nicht eine Kopie von einer Kopie von einer Kopie, sondern konnten für eine lange Zeit mit den Originalmanuskripten abgeglichen werden. Die Manuskripte, auf denen das Neue Testament basiert, wie man es in jeder Buchhandlung kaufen kann, sind historisch zuverlässig.

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